Beteiligung von unten oder von oben
In einem Artikel in der Presse vom 13. November 2023 beschreibt Theresa Wirth, den oft mühseligen Weg, den Bürger:innen gehen müssen, wenn sie in ihrem Grätzel etwas verändern wollen. Sogar bei Flächen, die extra für freie Gestaltung ausgewiesen sind, wie etwa in der Seestadt.
Anders bei Beteiligungsverfahren, die „von oben“ kommen, Die Verfahren laufen glatter, weil zuvor entsprechend „geglättet“. Statt echter Teilhabe findet das Inszenieren von Beteiligung („Particitainment“) statt, wie aus einer Studie der Arbeiterkammer hervorgeht. Die Inszenierung des „Klimateams“ (s.u.) folgte genau diesem Muster.
Bürger:innen-Initiativen von unten
Wie im Presse-Artikel berichtet, hat in der Seestadt ein Ehepaar, das zu den ersten Bewohner:innen dort zählt, Jahr für Jahr erlebt,
„wie ein Platz nach dem anderen versiegelt wird.“
Sie beschlossen zu handeln und errichteten auf einem als „Gestaltungszone“ gewidmeten Platz eine „Seestadt Lounge“, eine Holzlaube mit Schatten spendenden Kletterpflanzen, „mit aus Holz gezimmerten Möbeln darunter und Sträuchern und Blumen rundherum.“
Zuvor war dort eine Schotterfläche, bei der alle paar Wochen das Stadtgartenamt die daraus wachsenden Pflanzen ausreißen ließ.
Statt Freude über die Bewohner:innen-Initiative zu zeigen und Unterstützung zanzubieten, schickte die Stadt eine jährliche Rechnung von € 1.000,– als Nutzungsgebühr!
Im Artikel kommt auch Verkehrswissenschafterin Barbara Laa zu Wort, welche mit anderen die Plattform „Wir machen Wien“ ins Leben gerufen hatte,
„damit man sich als Bürger nicht so verloren fühlt und nicht so leicht verhöhnen lässt. Und die Rechte wahrnehmen kann, die man hat.“
Eine Petition der Plattform, welche Verkehrsberuhigung, autofreie Schulvorplätze, großflächige Begrünung zum Ziel hatte, erzielte mit 57.000 Unterschriften eine der höchsten Zustimmungszahlen von Petitionen in Wien. Sie landete im Petitionsausschuss, der nichtsagende Empfehlungen an die Stadtverwaltung weiter gab.
„Man fühlt sich verarscht,“
stellt Barbara Laa abschließend fest.
Soweit zum Umgang der Stadt mit Initiativen, die von Bürger:innen ausgehen.
Bei Projekten, bei denen die Stadt die Kontrolle hat, schaut es anders aus:
„Bürger:innenbeteiligung“ von oben
Da legt eine Jury vorsorglich fest, worüber die sich an den „Mitbestimmungs“-Projekten beteiligenden Bürger:innen, die viel Zeit und Engagement investieren, überhaupt entscheiden dürfen. So kamen etwa von den 321 dem Klimateam von Simmering zugesandten Ideen nur 11 in die Umsetzungsphase.
Das Ergebnis waren einige kleinere Projekte, von denen jedes für sich ganz nett ist, wie der „familiengerechte Naturlehrpfad“,

aber zu der Lösung der Zukunftsaufgaben des Bezirks angesichts der Klimakrise wenig beiträgt.
Letzlich bleiben die Ergebnisse für die Ideengeber:innen und die direkt am Prozess Beteiligten unbefriedigend, weil, wie die Arbeiterkammer in der schon zitierten Studie feststellt, nur ein Minimum des vorhandenen Potenzials umgesetzt wird und der Rest in der Schublade verschwindet.
Wie es auch vielen Ideen der Bürger:innen zu den bislang in Simmering erstellten Partizipativen Budgets erging: sie landeten und versandeten im entsprechenden Ausschuss des Bezirks.
Wobei in diesem Fall wenigstens ein größeres Projekt umgesetzt wird, die Umgestaltung der Betonwüste vor Billa Plus bei der Svetelskystraße in ein klima- und menschenfreundliches Ambiente – es soll im April 2024 fertig sein.

Das Schicksal des Bürger:innenbeteiligungsprojekts beim Stadtteilentwicklungskonzept Kaiserebersdorf (SEK) ist noch offen. Jedenfalls hat eine für den Herbst versprochene Informations- und Beteiligungs-Veranstaltung bislang nicht stattgefunden.
Die von den Grünen Simmering beantragte und in der Bezirksvertretung einstimmig angenommene Forderung nach einer Bürger:innenversammlung steht ebenfalls noch aus.
Siehe auch: Verbauung Kaiserebersdorf: Transparenz, Mitsprache oder schon alles fix?
Projekte auf Augenhöhe – nicht in Simmering?
Das bewährte Konzept der Lokalen Agenda 21, das davon ausgeht, dass die Bürger:innen die Expert:innen ihres Alltags sind und wissen, wo der Schuh drückt, wie es die Geschäftsführerin Sabrina Halkic formuliert, wird in 13 Wiener Bezirken erfolgreich umgesetzt, weil:
„Das Bewusstsein, dass Planungen [durch Bürger:innenbeteiligung auf Augenhöhe] besser werden, komme immer mehr in der Politik an.“
Nicht so für Simmering. Der von den Grünen Simmering gestellte und mehrheitlich (gegen die Stimmen der ÖVP) angenommene Antrag auf Einbeziehung des Bezirks in die Agenda 21 wurde vom zuständigen Stadtrat mit dem Hinweis auf Budgetbeschränkungen abgewehrt.
Allem Frust zum Trotz:
es lohnt sich, die Mühen von persönlichen Initiativen und die Beteiligung an Mitbestimmungsprozessen auf sich zu nehmen: je mehr Stimmen laut werden, um so mehr wird die Stadt gezwungen sein, auf die Wünsche der Bürger:innen zu hören!
Im Fall der „Seestadt-Lounge“ gibt es eine Bewegung: die Stadt will jetzt nur noch die Hälfte der „Nutzungsgebühr“. Aber, wie die Betreiber:innen zurecht sagen: Man werde das Angebot zwar für ein Jahr annehmen, doch
„Eigentlich geht es uns ums Prinzip. Warum sollen die Bewohner auch nur einen Cent an die Stadt dafür zahlen, dass sie auf eigene Kosten öffentliche Flächen aufwerten?“
Zum Begriff Particitainment:
„Particitainment“ greift um sich. Statt substanzieller Diskurse im Kontext einer lebendigen lokalen Demokratie wird eine Bürgerbeteiligung inszeniert, die Teilhabe an Meinungsbildung und Entscheidungen suggeriert ohne dies einlösen zu können. De facto bleiben viele Ergebnisse dieser Prozesse ohne wesentlichen Einfluss auf die Stadtentwicklung und verändern auch die eingespielten Mechanismen der lokalen Politik und Verwaltung nicht. Mehr noch: Die Inflationierung nachhaltig wirkungsloser Teilhabe-Verfahren könnte womöglich Politik- und Planungsverdrossenheit befördern.(…)
Gelegentlich hat man den Eindruck, „Particitainment“ solle dazu dienen, den Bürgerinnen und Bürger ihre zuschauerdemokratischen oder wutbürgerlichen Unarten auszutreiben und sie zu jenen verträglichen und kreativen Partnern zu machen, die man sich für gedeihliche Stadtentwicklungsprozesse wünscht. Das wird nicht gelingen – jedenfalls nicht durch „Bespaßung“ und Beteiligungsangebote ohne Substanz. Und selbst wenn man das meidet werden die Bürgerinnen und Bürger – wie übrigens alle anderen Akteure im Prozess der Stadtentwicklung auch – ihren „Eigen-Sinn“ behalten.
Klaus Selle: „Particitainment“ oder: Beteiligen wir uns zu Tode?