Vor 90 Jahren
Als sich unsere Vorfahren gegen den Faschismus zur Wehr setzten. Eine alte Geschichte?
In den letzten Jahren multipler Krisen ist eine zunehmende Geringschätzung und Aushöhlung demokratischer Prozesse und staatlicher Institutionen zu bemerken. Fundamente unserer Gesellschaftsordnung, wie die Menschenrechtskonvention, werden offen in Frage gestellt, die Unabhängigkeit der Justiz wird angegriffen und politische Repräsentant:innen vertreten zunehmend einfache, autoritäre „Lösungen“ komplexer Sachverhalte.

Dass von denselben Kräften mit ruralen Inszenierungen im städtischen Raum das verlogene Substitut einer Volkskultur als Leitkultur gegen urbane Lebensentwürfe ins Spiel gebracht wird, erinnert mentalitätsgeschichtlich an die Situation in der Zwischenkriegszeit, als von konservativer und faschistischer Seite gegen den „Wasserkopf“ Wien gehetzt wurde.

All das mündete bekanntlich in die Zerschlagung der Demokratie und in der Errichtung einer sich als „Ständestaat“ ansehenden Diktatur, die nach wenigen Jahren von einem noch radikaleren Regime abgelöst wurde.
Umso wichtiger ist es, jener zu gedenken, die vor 90 Jahren gegen solche Bestrebungen gekämpft hatten und, als es, wie wir heute wissen, schon zu spät war, in einer verzweifelten und hoffnungslosen Situation bereit waren, ihr Leben für die Demokratie und für den Kampf gegen die Diktatur zu wagen und es auch oft verloren.

Der Beginn des Widerstands
„Als in den Morgenstunden des 12. Februar 1934 die Polizei im Hotel Schiff, dem Linzer Parteiheim der Sozialdemokraten, nach Waffen suchen wollte, eskalierte die Lage. Die Schutzbündler widersetzten sich. Es kam zu bewaffneten Kämpfen, die bald auf Wien und mehrere Industriestädte übersprangen.“ (Der Standard, 10. Februar 2024).
Die Simmeringer Arbeiter:innen besetzten Gaswerk und E-Werk und gaben für Wien durch Stromabschaltungen das Zeichen für den Generalstreik.
Kampfhandlungen
Die Schutzbündler begannen sich zu sammeln. Um heranrückende Heimwehr anzuhalten, besetzten sie den Bahndamm der Aspangbahn und stellten in der Geiselbergstraße ein Maschinengewehr auf. Exekutive und Heimwehr gingen mit Panzerzügen gegen sie vor, konnten aber immer wieder zurückgeschlagen werden.

Zentren des Widerstandes in Simmering waren auch die Gemeindebauten zwischen Geiselbergstraße und Braunhubergasse, wie der Widholz- und Petzold-Hof, sowie die Hasenleitensiedlung.


Zwei für Viele
Julius Bindel, Simmeringer Aktivist des Republikanischen Schutzbundes beteiligte sich an den Kämpfen im Februar 1934 und erlitt eine schwere Schussverletzung. Er konnte mit seiner Frau Mitzi nach Prag flüchten und dann in die Sowjetunion, wo er in einer Fabrik arbeitete.
Nach dem Überfall Nazideutschlands auf die Sowjetunion kämpfte er als Soldat der Roten Armee gegen die deutsche Wehrmacht und fiel 1941.
Malwine Steiner (verheiratete Bönsch), geboren in Simmering. War nach der Niederschlagung des Aufstandes bzw. der Kämpfe zur Verteidigung der Gemeindebauten aktiv an der Rettung von Schutzbündlern beteiligt, indem sie Fluchtwege in die Tschechoslowakei mitorganisierte.
1935 wurde sie verhaftet und wegen Mitwirkung bei der „Herstellung und dem Vertrieb illegaler Druckwerke“ zu fünf Jahren Haft verurteilt. Nach 15 Monaten kam sie im Rahmen einer Amnestie wieder frei. Da sie in Österreich zu bekannt waren und dadurch politische Arbeit nicht mehr möglich war, wählten Malwine und Franz Bönsch das Exil in Großbritannien, aus dem sie nach 1945 wieder zurückkehrte und mit ihrem Mann ihre politische Arbeit fortsetzte.
Nachlese
Der Lyriker Paul Celan hat Worte gefunden, welche jene ehrt, die in den 30er Jahren bereit waren, dem Faschismus mit der Waffe in der Hand entgegenzutreten und ihre Niederlage als die unsere betrauert:
Flöte,
Doppelflöte der Nacht:
denke der dunkeln
Zwillingsröte
in Wien und Madrid.
Setz deine Fahne auf Halbmast,
Erinnrung.
Auf Halbmast
für heute und immer.
Herz:
gib dich auch hier zu erkennen,
hier, in der Mitte des Marktes.
Ruf’s, das Schibboleth, hinaus
in die Fremde der Heimat:
Februar. No pasarán.
Nie wieder ist heute.
Es sollte uns immer bewusst sein, dass 1934 nicht der Anfang war, sondern das Vordringen faschistischer Kräfte zuvor schon begonnen hatte und mit der Ausschaltung des Parlaments 1933 einen ersten großen Sieg feierte.
Heute scheint die Speerspitze der Faschisierung das Aufhetzen gegen die Schwächsten der Gesellschaft zu sein, die Arbeitslosen und die Asylsuchenden, sowie der schon erwähnte Kampf gegen die Unabhängigkeit der Justiz.
Wir sind noch nicht in der verzweifelten Lage der österreichischen Arbeiter:innen 1934. Wir können den Einbruch der Barbarei noch verhindern.
Literatur (Auswahl)
- Hans Havelka: Simmering. Geschichte d. 11. Wiener Gemeindebezirkes u. seiner alten Orte. Wien, München. Jugend und Volk. 1983.
- Herbert Exenberger: Gleich dem kleinen Häuflein der Makkabäer. Die jüdische Gemeinde in Simmering 1848-1945. Mandelbaum. 2009
- Irene Etzersdorfer, Hans Schafranek (Hrsg.): Der Februar 1934 in Wien. Erzählte Geschichte. Verlag Autorenkollektiv, Wien 1984.
- Erich Hackl, Evelyne Polt-Heinzl (Hrsg.): Im Kältefieber. Februargeschichten 1934. Picus Verlag, Wien 2014.
- Wilhelmine Goldmann: „‚Rote Banditen‘. Geschichte einer sozialdemokratischen Familie“. Mit einem Nachwort von Ferdinand Lacina.
- Emmerich Tálos, Wolfgang Neugebauer (Hrsg.): Austrofaschismus. Politik, Ökonomie, Kultur. 1933–1938. 5. Auflage. LIT, Wien 2005.